22. Dezember 2015

Zu "2015 - ein historisches Jahr?"

Ein Artikel mit vielen Aspekten, wobei ich hier nur einen kommentieren möchte. Die Frage nach den historischen Wendepunkten. Wozu brauchen wir 1789, 1871, 1914, 1945, 1990 usw.? Beschäftigungstherapie für Historiker? Die erzählen ja, wie mir erst neulich wieder infantile Zeitgenossen sagten „nur nach was bereits passiert ist“. Nein! Die verschiedenen Einteilungen offenbaren viel darüber, wie man die Welt sieht. Als Fortschrittsgeschichte, als Kreislauf oder als Berg- und Talfahrt? Daraus leiten sich die Gedanken ab, wie wir die Zukunft anzugehen haben. Wenn jemand im Interesse der Menschheit mehr können will als „Fahren auf Sicht“, wird das nicht ohne Rückspiegel funktionieren. Ich möchte in diesem Blog die ersten Schritte einer Reise gehen, die im Kopf beginnen. Meiner Ansicht nach befinden wir uns in einem Kreislauf, den Politik nicht durchbrechen kann. Die destruktiven Kräfte bewahren ihre Handlungsfähigkeit auch nach der europäischen Aufklärung, der amerikanischen „Bill of Rights“, der Unabhängigkeit Afrikas und Südamerikas, Glasnost und Perestroika, dem arabischen Frühling, und werden es immer tun, wenn wir die Rahmenbedingungen der Welt nicht verändern. Deshalb wollen wir uns auf die Suche nach Alternativen begeben. Dazu gehe ich zunächst auf nur einen interessanten Aspekt des Artikels „2015 – ein historisches Jahr?“ ein:
Die „Überforderung der Medien“.

Es gibt seit den 1990ern die These von der Ökonomie der Aufmerksamkeit, z.B. vom amerikanischen Ökonomen Richard Lanham und dem deutschen Städteplaner Georg Franck. Die individuelle Aufmerksamkeit als das knappste Gut der Überflussgesellschaften. Je nach Quelle werden wir täglich z.B. von 3000 bis 7000 Markenbotschaften „angesprochen“. Zudem kommunizieren neben unseren privaten und beruflichen Informationsanforderungen auch diverse Politiker und Medien, die von uns (aus)gewählt werden möchten. „We live in an ‚information economy.’ But information is not in short supply in the new information economy. We’re drowning in it. What we lack is the human attention needed to make sense of it all.”, so Lanham. Dementsprechend sind wir 2015 nicht an einem Wendepunkt, sondern inmitten einer Spirale, die sich immer höher schraubt. Irgendwo zwischen der Überforderung der Empfänger und jener der sendenden Medien, mit den Überforderten zu kommunizieren, liegen die intellektuellen Kritiken an der „tendenziösen“ Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender und die populistischen Kritiken an der „Lügenpresse“. Dem enstprechend tendieren die Medien dazu, die zahlreichen Konflikte – Beirut wurde in der Aufzählung vergessen. Das ist deshalb interessant, weil der Anschlag nur einen Tag vor Paris verübt wurde und in der Weltöffentlichkeit kaum stattfand. Dazu: http://stateofmind13.com/2015/11/14/from-beirut-this-is-paris-in-a-world-that-doesnt-care-about-arab-lives/ - nur oberflächlich und deshalb negativ zu behandeln. Diesem Modus schließt sich Rocketrocker an, wenn er die 2015er Ereignisse aufzählt. Nur schlechte Nachrichten sind bekanntlich gute Nachrichten. Dabei könnte man auch viele Chancen ausmachen. Z.B. die spontan aufkommende und in vielen Bevölkerungsteilen immer noch vorhandene „Willkommenskultur“, die Wahlen in Myanmar, das Ende der kubanisch-amerikanischen Eiszeit, das iranisch-amerikanische Nuklearabkommen, den Klimagipfel von Paris und eventuell sogar die Bereitschaft internationaler Akteure wie Russland und Amerika, wieder miteinander zu sprechen. Und vielleicht sogar die Bemühungen arabischer Staaten, sich in Riad zu einigen. Natürlich wird sich einiges als Illusion entpuppen und natürlich ist es traurig, dass so Vieles immer erst als Reflex auf Anschläge und gemeinsame Feinde möglich ist.
Begreift man so manches als Chance, kann 2015 sogar ein Jahr sein, in dem aus etwas Schlechtem etwas Gutes erwächst. Damit ist es aber kein Wendepunkt, sondern das Gebräu der Verderbnis, das wir jetzt ausbaden müssen. Angerührt wurde es bereits 1979/80 (USA stacheln Irak zum Angriff auf den Iran an und UDSSR marschiert in Afghanistan ein) und vor allem nach 1990 (die Zivilgesellschaften feiern Francis Fukuyamas „Ende der Geschichte“, während finstere Kräfte wie Halliburton, Heckler & Koch, Rheinmetall, Blackwater etc. den Kalten Krieg fortsetzen und regionale Konflikte als Rahmen ihrer Geschäfte institutionalisieren). Damit ist 1990 ein Wendepunkt, in dem viele historische Chancen vergeben wurden. Man hat ein gutes Leben im schlechten geführt, wie Adorno gesagt hätte. Ob 2015/16 dann zu einem Meilenstein wird, in dem das Steuer herumgerissen wurde, wird sich zeigen. Auch dazu einige Lösungsansätze – mehr aber auch nicht – im angekündigten Talk. Ansonsten ist 2015 sowohl medial wie auch politisch nur jener Zeitpunkt, an dem die Blinden ihre Augen öffnen und entdecken, dass sie längst auf einem gefährlichen Weg sind. Und diesen weiter beschreiten, weil sie zu träge sind, zu denken.


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