Respekt für Regisseur Alejandro G. Iñárritu. Er
wagte viel: Zum Beispiel das Team bis an die Schmerzgrenze zu treiben. Und sich beim Erzählen ganz der Kamera zu überlassen. Damit
schaffte er es, einen altbekannten Stoff in einer völlig belanglosen Variante
das 100 und 1ste mal zu erzählen – und daraus dennoch eine Pionierarbeit zu
machen.
Besser gesagt schafften das Kameramann Emmanuel
Kubezki und sein Team. Sie wollen mehr zeigen als kältestarrende Panoramen. Die Kamera bleibt episch lange in
einer Einstellung. Anspruchsvoll gedrehte Plansequenzen nehmen uns mit auf Trampelpfade, durch Wälder und über eisige Fluten. Dann rückt die Kamera den Protagonisten –
Trappern, Indianern, Bären – wieder aufdringlich nahe auf den Pelz. Das sorgt dafür,
dass man den Film miterlebt – oder besser miterleidet. Selten waren die
Anstrengungen der Akteure so zum Greifen nahe. Das macht den Film authentisch,
um das Lieblingswort einer ihrer digitalen Verdammnis müde gewordenen
(Film)welt zu bemühen. Es macht ihn aber auch seeehr anstrengend.
Was nicht zuletzt am Hauptdarsteller liegt.
Sicherlich braucht man ein Zugpferd, weil man aus einem 165-Mio-Dollar-Film
auch einen Erfolg machen muss. Das Dumme ist, dass Leonardo DiCaprio ebenfalls
sehr dringend etwas braucht: Einen Oscar. Deshalb kämpft er nicht nur mit der
Wildnis ums Überleben, sondern auch mit der Kamera darum, wer denn jetzt die
Handlung trägt. Er spielt intensiv, er spielt wie besessen, er spielt um sein
Leben. Und damit wird es anstrengend. Er röchelt und stöhnt. Und wenn er nicht
grunzt schweigt er – Gott sei Dank. Seit Al Pacinos Darstellung des Teufels hat
lange Zeit keine Form des Overacting mehr dermaßen meine Geduld beansprucht. Muss
ich wirklich die Spuckebläschen auf seinem Mund sehen, um ihm abzunehmen, wie
schlimm es ist, hilflos dem Mord am eigenen Sohn zuzusehen? Dagegen war Tom
Hardy – der mit „Mad Max“ noch in einem weiteren Oscar-nominierten-Film (echt
jetzt?) antritt – erfrischend unauffällig. Ein Bösewicht, der weit davon
entfernt ist, diabolisch zu sein. Aber auch nicht tragisch oder sonst
irgendwas. Er spielt einfach die unsympathische, egoistisch-rücksichtslose
Variante des Überlebenskampfes. Ein armes Schwein. Ein Mörder, der kein Mitleid
verdient. Damit fängt er den visuellen Angriff der Kamera und den
proktologischen Angriff DiCaprios wieder ab. Hätte auch er alles gegeben, ich
hätte den Film nicht durchgestanden. Und das wäre ein Jammer gewesen.
Die Süddeutsche 29.Februar:
AntwortenLöschen"Ja, Leonardo DiCaprio hat einen Oscar verdient. Aber ganz sicher nicht diesen. Für seine Rolle als Hugh Glass in "The Revenant" hat ihm die Academy den Preis für den besten Hauptdarsteller zugesprochen. Und den Oscar damit zu einer Auszeichnung für die beste Atem-Performance degradiert. Denn viel mehr macht DiCaprio im Überlebenstrip von "The Revenant" nicht.
Stöhnen, grunzen, sabbern, und sehr intensiv atmen - das ist Leonardo DiCaprios Oscar-Leistung."
Thx
http://www.sueddeutsche.de/kultur/oscars-fuer-dicaprio-und-irritu-mythische-schlachtplatte-1.2884990