Einflussreiche Medienwissenschaftler wie Marshall McLuhan und Vilém Flusser
haben angenommen, dass unsere auf Schriftkommunikation basierende Zivilisation
nur ein Ausnahmezustand in der Menschheitsgeschichte sei. In Antike und
Mittelalter fand Kommunikation v.a. über die Sinneswahrnehmungen statt. Im
Privaten herrschten Gerüche und Geschmack – allzu oft Gestank und Übelkeit –
und im Öffentlichen wurde Macht repräsentiert. D.h. sie wurde durch
eindrucksvolle Gesten öffentlich kommuniziert. Die Neuzeit institutionalisierte
nach Gutenbergs Buchdruck die Schrift und Universitäten wurden die neuen
Kirchen, Wissen ersetzte Glauben.
Wer nicht lesen kann und nicht wählen darf, dem reicht eine aufs Haupt gesetzte Krone als Machtlegitimation. Wer die Bibel nicht selbst studieren kann, dem reichen Gemälde voller Höllenqualen, um auf dem rechten Weg zu bleiben. All diese Menschen orientierten sich in einer Welt der Symbole. In einer Welt, in der sie nur überlebten aber nicht mitgestalteten. Denn dazu gehört das Begreifen. So wie in der Neuzeit. Da legitimierte sich Macht, indem sie die Bürger überzeugte. Dadurch wurde der Bürger selbst zum Souverän. Die Wissensgesellschaft begann.
Jetzt orientieren wir uns wieder an Bildern, wählen und kaufen Images. Die
Informationen sind zu reichlich, sie anästhetisieren unseren Verstand. Deshalb
haben wir uns wieder ein Parcours der Symbole geschaffen, denen wir folgen, die
unser Leben leiten. Wir kehren zurück „zu einer ursprünglichen Situation,
welche durch den Buchdruck und die allgemeine Alphabetisierung unterbrochen
wurde. Wir sind dabei, zu einem Normalzustand zurückzukehren, welcher nur 400
Jahre lang durch einen Ausnahmezustand, genannt „Neuzeit“, unterbrochen war.“
(Vilém Flusser in Kommunikologie).
Dieser Wandel in Medien und Kommunikation, scheint in Anbetracht der
zerbröckelnden, uns ach so lieb gewordenen, alten Weltordnung nur ein Teil des
Phänomens zu sein, welches der Begriff „Ausnahmezustand Neuzeit“ heute umfasst.
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