9. Februar 2016

Das deutsche Fernsehen angesichts des Todes von Roger Willemsen

Fans trauerten auf Facebook und Twitter, auch Newsmedien, Fernsehen und Zeitungen brachten große Nachrufe: Der Autor und TV-Moderator Roger Willemsen ist mit 60 Jahren gestorben. Das ist wirklich traurig, denn Willemsen hatte die außergewöhnliche und seltene Gabe, Unterhaltung und Anspruch zu vereinen. Er war schlagfertig und belesen, charmant und kritisch, unterhaltend und intellektuell zugleich. Ein Kuriosum in Deutschland.
Zur Schande des Mediums wendete Willemsen sich recht früh vom TV ab. Er war desillusioniert, er glaubte nicht mehr an das Fernsehen, es war ihm zu quotenorientiert. Willemsen passte nicht in die deutsche Fernsehlandschaft: Neben Gründen wie Quotendruck und unflexiblen Strukturen ist das vor allem unserer Kultur geschuldet.
Wir Deutsche trennen rigoros in Ernst und Unterhaltung, Mischformen lassen wir nur ungern zu. (Helmut Schmidt wusste darum und verbarg tunlichst seinen Humor in öffentlichen Auftritten. Dass er welchen hatte, ist bekannt. Wie er etwa über Harald Schmidt lachen konnte, ist hier zu sehen). Das Dogma "E und U gehören nicht zusammen" ist tief in unserer Kultur eingeschrieben, so tief wie im nordamerikanischen Protestantismus die Prüderie.
Beispiele dafür im TV? Zuhauf. Hier sind drei:
  • Im aktuellen Sportstudio sprechen Sportler - es sind meist aufgrund der Quote Fußballer - über alles mögliche, aber nicht über ihren Sport. Stattdessen drehen sich Fragen um das Gefühl beim Gewinnen/Verlieren, Kleidung, das Miteinander, Hobbies und andere Befindlichkeiten. Es gibt sogar Moderatoren, die sich gar nicht für Fußball interessieren. Es geht ja schließlich um Unterhaltung der breiten Masse.
  • Es gibt keine deutsche Sitcom von Qualtität oder Belang. Es gibt auch keine relevante, tägliche Latenight-Show, die Unterhaltung mit qualitativem Journalismus verbinden würde.
  • Markus Lanz scheint die personifizierte Gestalt für die deutsche Tendenz zur Unterforderung zu  sein. In Lanz' Show dominiert die Atmosphäre, nicht der Inhalt. Anderes fiel zumindest noch nicht auf. In der Logik des Fernsehens ist das auch nicht wichtig.
Meine Theorie ist die: Nachhaltigen Erfolg im TV bekommt derjenige, der versucht zu vereinen und nicht zu trennen. Alle müssen angesprochen werden. Klar, lustig aufbereitete Literaturkonzepte werden trotzdem nicht 10 Millionen Zuschauer anziehen. Gelingt jedoch ein Versuch, Unterhaltung mit etwas Anspruch zu produzieren, horchen die Menschen auf. Generiert Florian Silbereisen irgendeinen Buzz auf Twitter? Nur, wenn er sich daneben benimmt. Löst dagegen der amerikanische Late-Night-Star Jimmy Fallon in Deutschland enormes Interesse aus? For sure. Warum?
Die Nordamerikaner (und auch die Briten) sind in Sachen TV-Unterhaltung den Deutschen turmhoch überlegen (und das, obwohl wir so stolz auf unsere Kultur sind). Die USA lassen Qualität als Verkaufsmerkmal zu, in Deutschland schwarzwaldkliniken wir seit Jahrzehnten vor uns hin. Ein wichtiger Grund ist die Trennung von E und U. Ja, es gibt Ausnahmen, etwa die Qualitätsserie „Der Tatortreiniger“. Doch wie schwer sie es bei den Programmverantwortlichen hatte, ist pure Realsatire.
Dass Friedrich Küppersbusch und Roger Willemsen in einem nur kurzem Zeitfenster während der 90er Jahre reüssierten, ist traurig. Dieser beispielhafte Clip, in dem Küppersbusch und Willemsen zusammen zu sehen sind, ist von 1997 und wird im Internet momentan geteilt. Der Ausschnitt wirkt so frisch, als sei er gerade aufgenommen worden und die letzte Markus Lanz-Sendung 20 Jahre alt.
Wer denkt, ZDF, ARD und Co ändern sich nie, dem sei gesagt: Es fehlt gar nicht soviel. Lockert man die strikte Trennung von E und U, gäbe es prompt eine ganz neue Welt zu entdecken:
  • Nur 5 -10 Minuten im aktuellen Sportstudio den Fußballer aus seiner Komfortzone holen und genaue, kritische Fragen stellen. (Man messe den Effekt in den sozialen Netzwerken)
  • Eine Musiksendung, in der ein Star aus der Volksmusik die Techno-Szene Berlins erkundet.
  • Eine Casting-Show für einen neuen Late-Night-Talker. Als Preis winkt eine tägliche Show.
Und das sind nur drei Ideen, die mir nach 90 Sekunden Nachdenken einfallen. Ich mag mir die Konzepte nicht ausmalen, die Profis, etwa Drehbuchautoren, in ihren Schubladen haben.
Ja, das klingt schön, wird man einwenden, ist aber alles nicht so einfach. Das durchsetzen! Und die Quote erst! Was, wenn das alles durchfällt? Antwort: Dann probiert man eben die nächste Idee. Klar muss sein: der aktuelle Weg der Sender ist der problematischere. Er wirkt wie ein Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Man sieht an dem hohen Altersdurchschnitt der Zuschauer und an dem scharfen Protest gegen die GEMA-Gebühren, wie reformbedürftig die völlig veraltete Philosophie des Fernsehens ist.
Roger Willemsen, der unterhalten konnte, ohne den Zuschauer zu unterfordern, stand für Unerwartetes, Interessantes. Hätte man ihn gehalten, gefördert und auch geformt, er hätte eine TV-Ikone werden können. So hat er halt Bücher geschrieben und sich in Talkshows interviewen lassen. Im Fernsehen ist er unvollendet geblieben und das müsste eigentlich ein Mahnmal für alle Verantwortlichen sein.
Das sture deutsche Beharrungsvermögen und die Beamtenhaftigkeit - zumindest bei ARD und ZDF - zeigen, dass das deutsche TV nur bedingt eine Verwestlichung und damit eine Modernisierung erfahren hat. Es ist dringend Zeit, das zu ändern.

1 Kommentar:

  1. Zur Schande des Mediums Fernsehen, wollte Willemsen Nichts mehr damit zu tun haben. Ähnlich Reich-Ranicki unvergesslich: "Ich lehne diesen Preis (den deutschen Fernsehpreis) ab. Köche, lauter Köche. Unerträglich." Es bleibt nur die Hoffnung, dass die Menschen schlauer sind als das TV-Programm. Dabei gibt es ja noch gehaltvolle Sendungen in deutscher Sprache "NZZ Standpunkte, Sternstunden Philosophie". Hoffentlich bleiben diesen die Intellektuellen treu. Der These des Vereinens, der Tendenz zur großen gesellschaftlichen Mitte stimme ich zu. Deshalb haben wir Publikum für 4000 Folgen Marienhof und Political Correctness - Wächter für Alles mit Polarisierungsgefahr. Wenig Innovatives - auch mir fällt hier der Tatortreiniger ein - schafft es mit knapp unter einer Million treuer Zuschauer über die erste Staffel hinaus.

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