3. März 2016

Gegen den Kriege, gegen die Außenpolitik. Pazifistische Überlegungen anhand Max Webers „Politik als Beruf“.

Das Folgende kann im Kontext des grauenvollen Stellvertreterkrieges in Syrien gelesen werden. Es hätte aber auch schon viel früher verfasst werden können.

Die Entstehung des staatlichen Gewaltmonopols
Es gibt ein menschliches Bedürfnis nach Kampf und Sieg, Ruhm und Ehre und vor allem nach Überlegenheit und Macht. Das gebräuchlichste Mittel zur Durchsetzung der genannten Ziele: Gewalt. Diese wurde in Europa über Jahrhunderte frei ausgelebt. Bis das staatliche Gewaltmonopol die Anarchie beendete. Der Soziologe Max Weber bezeichnete 1919 in „Politik als Beruf“ Gewalt als das spezifische Mittel des Staates. Dafür sorgen Institutionen wie Verwaltung, Justiz, Polizei, Militär. Wenn Weber die Beziehung von Gewalt und Staat aufgrund ihrer Exklusivität als „besonders intim“ bezeichnet, zieht er damit den Vergleich mit einem Liebespaar, dessen Intimität alle anderen ausschließt. Nur dass es sich eben um ein Gewalt- und nicht um ein Liebesmonopol handelt. Wir modernen Staatsbürger betreiben heute Sport oder unsere Karrieren als Hegung der Gewalt. Wir sind domestizierte Krieger. Das kanalisiert die Energie Einzelner derart positiv im Interesse der Gemeinschaft, dass allenthalben Höchstleistungen erzielt und erwartet werden. Doch Politik wirkt nicht nur nach innen. Sie ist auch das Streben nach Machtverteilung und Machtdemonstration zwischen Staaten - oder zwischen Staaten und außerhalb stehenden Gruppen, wie z.B. zwischen der ISAF und den Taliban. Und was im Inneren gut ist, führt im Äußeren in ein tragisches Dilemma: Gewalt zur Durchsetzung der genannten Ziele in zwischenstaatlichen Beziehungen hat kein Monopol. Wenn beide Parteien zur Gewaltausübung legitimiert sind tendiert der Konflikt zur Eskalation.





Die Armee
Wenn das Gewaltmonopol im Inneren von Staatswesen missachtet wurde, ging das meist mit dem Ende des Staates oder zumindest mit einem Kampf um das politische System einher. Das kennen wir von Revolutionen: 1789 (Frankreich/Umsturz), 1848 (Deutschland/Niederschlagung des Aufstandes), 1917 (Russland/Umsturz). Aus der Gewalt entsteht ein neuer Staat, denn „jeder Staat wird auf Gewalt gegründet“ (Revolutionär Leo Trotzki). Mitunter wurde das Gewaltmonopol auch im großen Stil missachtet, ohne die staatliche Existenz per se in Frage zu stellen, wie z.B. in Italien (Mafia) oder in Kolumbien (Drogenkartelle). Diese Fälle üben auch auf sittsame, zur Fügsamkeit neigende Menschen eine Faszination aus, wie zahllose Bestseller und Blockbuster zeigen. Was schließen wir daraus? Der Mensch genießt physische Gewalt als Story Telling – Sie ist Teil seines Lebens. Sie selbst auszuüben ist den meisten gesunden Individuen aber mittlerweile zuwider. Ein Paradoxon welches zwischenstaatliche Gewalt aufhebt. Der Staat schafft es immer wieder, Gewalt zu legitimieren und anzuwenden. Trotz zahlreicher semantischer Verrenkungen sprechen wir hierbei von „Krieg“. Staatlicher Krieg kann definiert werden, als die Verwendung der einer Regierung übertragenen Sachgüter und Staatsbürger als Kriegsmaschine, mit dem Ziel, die Sachgüter und Staatsbürger einer anderen Regierung oder Gruppe soweit zu dezimieren, dass diese sich dem eigenen Willen unterordnet. Probatestes Mittel hierzu ist die Armee. Diese war ursprünglich eine Ansammlung von Profis, wie Ritter oder Söldner. Mit dem Aufkommen des Bürgertums ist die Armee zum Massenheer geworden. Dafür war das Bürgertum dankbar. Es sah den Kriegsdienst des Laien als endgültige Bewährungsprobe. Die Emanzipation gegenüber dem alt eingesessenen Adel. „Wie hätte der Künstler, der Soldat im Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte! Krieg, Reinigung, Befreiung!“ jubelte der spätere Literaturnobelpreisträger Thomas Mann im November 1914. Und obgleich der Autor dieser Zeilen, so wie Millionen andere auch, bald schon vom schrecklichen Gemetzel ernüchtert waren, erlaubte diese Generation noch zu Lebzeiten einer weiteren Regierung, ihre Söhne erneut in einer noch größeren Armee in einem noch größeren Gemetzel zu opfern. Als diese zweifellos verbrecherische Regierung sich zu einem Krieg nach dem anderen entschloss, war man zwar selten begeistert. Aber was sollte man dagegen schon tun? Natürlich hätte „man“ etwas tun können. Je moderner ein Staat, desto eher ist er durch Gewaltenteilung, durch komplexe Verwaltung geprägt. Dadurch ist die Partizipation der Vielen nötig. Das ist im Welteroberungskonzept der Nazis nicht anders, wie in einem Wohlstandsstaat, der seine Kriege in die geografische Peripherie auslagert. Die Partizipation erfolgt stets. Kein Satz war je weltfremder als jener der Friedensbewegung „Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin.“ Eine Institution drängt zur Tat, selbst wenn es ihre einzelnen Mitglieder nicht tun. Eine Armee zieht es in den Krieg! Vielleicht läuft sie beim ersten Gefecht gleich wieder fort, aber allein ihr Erscheinen als Armee legitimiert exzessive Gewaltanwendung der Gegenseite. Die Crux scheint also in der Frage zu liegen: „Wozu überhaupt eine Armee?“ Oder um es mit Berthold Brecht zu sagen: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat!“ (Leben des Galilei, 13. Szene). Glückliches Costa Rica, Land ohne Armee und ohne Krieg.

Zwischenstaatliche Gewalt als konstante Kommunikation
Der Mensch will den Frieden, er fürchtet den Krieg, er demonstriert gegen den Krieg. Die Politik diskreditiert den Frieden, indem sie ihn regelmäßig bricht. Zugleich liebt die Masse den Rausch des Sieges, die Freude eine mächtige Gemeinschaft zu sein. Aktuell zu beobachten im russischen Fernsehen, wo die allabendlichen Nachrichten den Generalstab zeigen, der die Luftangriffe in Syrien auf großen Karten erklärt. Die Strategieshows beziehen das Publikum in die Stärke einer Armee ein, die in einem Stellvertreterkrieg zur lange vermissten Rolle im internationalen Konzert der Macht zurückfindet. Sie finden ein Millionenpublikum. Und selbst wenn eine Bevölkerung skeptisch gegenüber Militäraktionen ist, braucht es oft nur den Sieg, um sie zur jubelnden Kulisse zu machen, wie beim Sieg der Wehrmacht über Frankreich. Zwei von vielen möglichen Beispielen: 1940 bis 2016 – unsere Regierungen und unsere Medien können uns Kriege nicht nur als notweniges Übel verkaufen. Sie können uns auch immer noch dafür begeistern. Krieg gegen das Böse ist immer gut. Denn das Böse erzeugt Empörung. Auch wenn es nur eine Meldung in den Medien ist, erhebt eine Nachricht wie „Assad setzt Giftgas gegen das eigene Volk ein“ den eigenen Luftkrieg zur gerechten Sache. Wir verursachen schuldige Opfer, um Unschuldige zu schützen. „Krieg lässt sich als ein Geschehen verstehen, das Bevölkerungen aufteilt in einerseits diejenigen, um die getrauert werden kann, und andererseits diejenigen, um die nicht getrauert werden kann.“ (Philosophin Judith Butler) Politik kommuniziert Gewalt, bevor sie diese ausübt. In Reden, in Nachrichten, aber auch als Story Telling, z.B. in Spielfilmen. Wir werden von Propaganda indoktriniert. Andererseits wirken Medien letztlich nur als Verstärker unserer inneren Einstellungen. In diesem Fall der jahrhundertealten Idee, „dass Krieg die klarste Form der Selbstbehauptung eines Volkes“ (Militärethiker Carl von Clausewitz) sei. Das kann auch kippen, v.a. wenn man den „Krieg der Bilder“ verliert, wie Vietnam und der Irak gezeigt haben. Das soll aber nicht unser Thema sein. Die Frage die sich stellt ist vielmehr: Wenn Politik dazu neigt, zwischenstaatliche Kommunikation mit Waffen auszutragen, sollte man ihr dann nicht die Möglichkeit dazu nehmen?
Die Hürden des Friedens
Hierzu die naheliegenden Einwände:
Die Politik hat aber doch sehr viel Positives auf internationaler Ebene erreicht? Die Haager Landkriegsordnung, die Genfer Konvention, die EU, die UN. Das ist ebenso richtig, wie es auch eine Tatsache ist, dass all diese Errungenschaften als Reaktion auf Katastrophen entstanden, die zuvor von der internationalen Politik angerichtet worden waren.
Bedeutet eine Entmachtung zwischenstaatlicher Politik aber nicht einfach einen Rückfall in die Zeiten des wilden Stammeswesens? Zeiten der Anarchie, der Warlords, wie wir sie z.B. in Afghanistan und Somalia sehen? Marodierende Truppen, die aus den umliegenden Ländern in schwache Regionen , wie z.B. den Kongo, einfallen? Nachfolgekriege staatlicher Auflösung, wie z.B. im Fall Jugoslawiens? Diese Herausforderung hängt zusammen mit dem Hauptproblem unseres Anliegens: Die menschliche Natur sehnt sich nach Auslagerung der Verantwortung, sie liebt Führerfiguren (charismatische Herrschaft) oder allgemein anerkannte Regeln (rationale Herrschaft), die implizieren „Überlass das mir! Unser Schicksal ist bei mir in guten Händen.“ Das trifft auf funktionierende große Staaten ebenso zu wie auf blutrünstigen Meuten. Wobei rationale oft mit charismatischer Herrschaft einhergeht, da der Ruf nach „Law & Order“ immer auch nach einer starken Führung verlangt. In der „Hingabe der Gehorchenden an das rein persönliche “Charisma” des “Führers”, (….) wurzelt der Gedanke des Berufs (Politik J.H.) in seiner höchsten Ausprägung.“ (Max Weber)

Als Individuen haben wir gerne das Gefühl, Herr über unser Leben zu sein. Sind wir das nicht, leben wir in einer Diktatur.
Als Kollektiv haben wir gerne das Gefühl, geführt zu werden. Werden wir das nicht, leben wir in einer schwachen Gemeinschaft.

Das Paradoxon staatlicher Gewalt
Im Inneren von Gemeinschaften hat Politik Großes geleistet. Jahrhunderte lang herrschte auf Europas Wegen des Recht des Stärkeren. Niemand schützte die Schwachen vor Raub, Mord, Vergewaltigung. Europa war Somalia, Europa war Afghanistan, Deutschland war im Dreißigjährigen Krieg der Kongo. Im Mittelalter disziplinierte die Kirche als einzig wirklich konstituierte Macht das wuchernde Gewaltwesen zunächst spärlich. Dann effektiv, indem sie die Gewalt in einem quasi vorstaatlichen Akt auslagerte. Papst Urban II. rief 1095 auf dem Konzil von Clermont dazu auf, die Gewalt unter Brüdern einzustellen und diese stattdessen als christliche Armee in den Orient zu tragen. Die Kreuzzüge zur Befreiung Jerusalems waren die erste militärische Aktion des Abendlandes unter einem allen gemeinsamen Heerzeichen: dem Kreuz. Um die historische Entwicklung fürs Erste abzukürzen (weiterführende Literatur z.B. Ernst H. Kantorowicz „Die zwei Körper des Königs“): Es entwickelte sich das Paradoxon staatlicher Gewalt.
Das Gewaltmonopol gegenüber den Mitgliedern der Gemeinschaft. Das bedeutete Frieden und Stabilität.
Der Waffengang gegenüber anderen Gemeinschaften. Das bedeutete Sieg und Ruhm oder Niederlage und Chaos.
Daraus ergibt sich die Konsequenz: Das Prinzip der Politik im Inneren hat sich überwiegend bewährt. Hier kann das menschliche Bedürfnis, Verantwortung abzugeben, den Prozess der Zivilisation schützen.

Geschichte als Zyklus oder als Fortschritt?
Das Prinzip der Politik im Äußeren macht die Geschichte zu einem Zyklus wiederkehrender Katastrophen. Der Unterschied zwischen Demokratie, Diktatur, Oligarchie, Totalitarismus, Kommunismus, Laizismus, Gesinnungs- oder Verantwortungsethik liegt nur im Selbstbild. Je nach Amt für Konfliktforschung haben die Kriege der USA, als größte Demokratie der Moderne, gegen Diktaturen, gegen Kommunisten, für die Demokratie und die Freiheit, nach 1945 zwischen 6 Millionen (MIT-Politologe John Tirman) und 10 Millionen Todesopfer gefordert. Nationen laufen mit oder ohne „Hurra“ immer wieder in den Sumpf der Gewalt. Dann zieht man sich selbst wieder am Schopfe aus diesem hervor. Auch das ist Teil des politischen Betriebes „Außenpolitik“. Die einen schlagen das Schiff Leck und die anderen – manchmal auch die Saboteure selbst – reparieren es wieder. Man musste diesem Kreislauf längerfristige Konzepte entgegensetzen. Konferenzen erließen internationale Regeln und gründeten zwischenstaatliche Gemeinschaften, damit es nie mehr geschehe. Nur die Geschichte zeigt: Es geschieht eben doch immer wieder. Institutionen wie die EU oder die UN haben auf Zeit als Friedensbewahrer funktioniert. Ihre eingebaute Verdammnis: Auch sie sind politische Organisationen, in denen sich in jeder Generationen guter Führer, auch immer wieder nationale Herrscher finden, die „Krieg als bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (Carl von Clausewitz) anwenden. Das ist mitunter pragmatisch, mitunter diabolisch. Aber es liegt im Wesen eines Berufes, dessen Kernaufgabe es ist, ihm übertragene Gewaltsamkeit über Beherrschte (Bürger oder Untertanen) auszuüben. „Wer Politik treibt, erstrebt Macht“ (Max Weber). Nicht umsonst gelten die letzten Gedanken in Webers „Politik als Beruf“ dem Krieg, für den es oft keinen Schuldigen gebe. Er sei ein strukturelles Problem der gesellschaftlichen Organisation.
Auch Politik die das „Gute“ will, der es also nicht um Eroberung, Ausbeutung und Ausrottung geht, arbeitet mit allen ihr übertragenen Mitteln und Menschen zur Erreichung ihrer Ziele, also auch mit jenen der Gewalt und des Krieges. Auch Max Weber sah sehr genau, dass „wer mit der Politik, das heißt: mit Macht und Gewaltsamkeit als Mitteln, sich einläßt, mit diabolischen Mächten einen Pakt schließt, und daß für sein Handeln es nicht wahr ist: daß aus Gutem nur Gutes, aus Bösem nur Böses kommen könne, sondern oft das Gegenteil. Wer das nicht sieht, ist in der Tat politisch ein Kind.“ Es gibt also keine Hoffnung auf Besserung innerhalb des Systems. Daran glauben nur Kinder. Und die Erwachsenen? Im dumpfen Fatalismus treiben wir wie Schiffbrüchige auf dem Meer, darauf hoffend, einer eher glücklichen als einer eher unglücklichen Welle der Geschichte ausgeliefert zu sein. So überlassen wir dem Bösen das Gesetz des Handelns. Nur weil wir uns keine Lösung außerhalb des internationalen politischen Systems vorstellen können? Welcher Gedanke läge näher, als die Struktur zu überdenken. Wenn der Kuchen faul ist, sollte man einen neuen Backen. Ein System welches die Volkswirtschaften mit der „Cake theory“ längst kennen. Steckt man mit den vorhandenen Mitteln fest, bringt man neue Mittel ins Spiel.
Muss also auch Außenpolitik ein Beruf sein? Gibt es keine anderen internationalen Ereignisse als das Hin und Her von politischen Brandstiftern und politischer Feuerwehr? Es wird Zeit aus jener „erschreckend sorglosen Haltung, die unsere Kriege begleiten“ (John Tirman) auszubrechen.


Internationale Beziehungen sind nicht nur Politik. Sie beinhalten Wirtschaft, Justiz, Medien und Tourismus. Diese Systeme kommunizieren Gewinn mit Handel, Recht mit Gesetzen, Inhalte mit Lizenzen oder Welterfahrung mit Logistik. Sie stehen ebenfalls nicht für globale Gerechtigkeit, aber ihr Medium ist nicht Macht durch Gewalt. Deshalb sollte hier anstelle politischer Herrschaft die Kontrolle internationaler Gewalt liegen. Das internationale Gewaltmonopol. Die Vorstellung einer nicht an nationale Interessen gebundenen internationalen Polizei ist nicht einmal schemenhaft am Horizont zu sehen. Alleine als Idee, wäre das die Innenpolitisierung der Außenpolitik. Denn das Vakuum nach dem Ende internationaler politischer Macht müsste ausgefüllt werden. Aus diesen Institutionen kann die Kraft der Menschheit kommen, sich weiter zu entwickeln. Die ersten Schritte des langen Weges der Zivilisation müssen aber in den Köpfen herausragender Einzelner getan werden. Dazu bedarf es heute, im Gegensatz zu Webers Zeit, keiner Helden. Die Netzwerkgesellschaft kann Ideen kreieren. Deshalb steht dieser Text heute im Netz. Wer sich zu klein fühlt, dem sei zuletzt gesagt: „Es ist ja durchaus richtig, und alle geschichtliche Erfahrung bestätigt es, daß man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen worden wäre.“ (Max Weber).

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