Das Folgende kann im Kontext des grauenvollen Stellvertreterkrieges in
Syrien gelesen werden. Es hätte aber auch schon viel früher verfasst werden
können.
Die Entstehung des staatlichen Gewaltmonopols
Es gibt ein menschliches Bedürfnis nach Kampf und Sieg, Ruhm und Ehre und
vor allem nach Überlegenheit und Macht. Das gebräuchlichste Mittel zur Durchsetzung
der genannten Ziele: Gewalt. Diese wurde in Europa über Jahrhunderte frei
ausgelebt. Bis das staatliche Gewaltmonopol die Anarchie beendete. Der
Soziologe Max Weber bezeichnete 1919 in „Politik als Beruf“ Gewalt als das
spezifische Mittel des Staates. Dafür sorgen Institutionen wie Verwaltung,
Justiz, Polizei, Militär. Wenn Weber die Beziehung von Gewalt und Staat
aufgrund ihrer Exklusivität als „besonders intim“ bezeichnet, zieht er damit
den Vergleich mit einem Liebespaar, dessen Intimität alle anderen ausschließt.
Nur dass es sich eben um ein Gewalt- und nicht um ein Liebesmonopol handelt.
Wir modernen Staatsbürger betreiben heute Sport oder unsere Karrieren als
Hegung der Gewalt. Wir sind domestizierte Krieger. Das kanalisiert die Energie
Einzelner derart positiv im Interesse der Gemeinschaft, dass allenthalben
Höchstleistungen erzielt und erwartet werden. Doch Politik wirkt nicht nur nach
innen. Sie ist auch das Streben nach Machtverteilung und Machtdemonstration
zwischen Staaten - oder zwischen Staaten und außerhalb stehenden Gruppen, wie
z.B. zwischen der ISAF und den Taliban. Und was im Inneren gut ist, führt im
Äußeren in ein tragisches Dilemma: Gewalt zur Durchsetzung der genannten Ziele
in zwischenstaatlichen Beziehungen hat kein Monopol. Wenn beide Parteien zur
Gewaltausübung legitimiert sind tendiert der Konflikt zur Eskalation.
Die Armee
Wenn das Gewaltmonopol im Inneren von Staatswesen missachtet wurde, ging
das meist mit dem Ende des Staates oder zumindest mit einem Kampf um das
politische System einher. Das kennen wir von Revolutionen: 1789
(Frankreich/Umsturz), 1848 (Deutschland/Niederschlagung des Aufstandes), 1917
(Russland/Umsturz). Aus der Gewalt entsteht ein neuer Staat, denn „jeder Staat
wird auf Gewalt gegründet“ (Revolutionär Leo Trotzki). Mitunter wurde das
Gewaltmonopol auch im großen Stil missachtet, ohne die staatliche Existenz per
se in Frage zu stellen, wie z.B. in Italien (Mafia) oder in Kolumbien
(Drogenkartelle). Diese Fälle üben auch auf sittsame, zur Fügsamkeit neigende
Menschen eine Faszination aus, wie zahllose Bestseller und Blockbuster zeigen.
Was schließen wir daraus? Der Mensch genießt physische Gewalt als Story Telling
– Sie ist Teil seines Lebens. Sie selbst auszuüben ist den meisten gesunden
Individuen aber mittlerweile zuwider. Ein Paradoxon welches zwischenstaatliche
Gewalt aufhebt. Der Staat schafft es immer wieder, Gewalt zu legitimieren und
anzuwenden. Trotz zahlreicher semantischer Verrenkungen sprechen wir hierbei
von „Krieg“. Staatlicher Krieg kann definiert werden, als die Verwendung der
einer Regierung übertragenen Sachgüter und Staatsbürger als Kriegsmaschine, mit
dem Ziel, die Sachgüter und Staatsbürger einer anderen Regierung oder Gruppe
soweit zu dezimieren, dass diese sich dem eigenen Willen unterordnet.
Probatestes Mittel hierzu ist die Armee. Diese war ursprünglich eine Ansammlung
von Profis, wie Ritter oder Söldner. Mit dem Aufkommen des Bürgertums ist die
Armee zum Massenheer geworden. Dafür war das Bürgertum dankbar. Es sah den
Kriegsdienst des Laien als endgültige Bewährungsprobe. Die Emanzipation
gegenüber dem alt eingesessenen Adel. „Wie hätte der Künstler, der Soldat im
Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die
er so satt, so überaus satt hatte! Krieg, Reinigung, Befreiung!“ jubelte der
spätere Literaturnobelpreisträger Thomas Mann im November 1914. Und obgleich
der Autor dieser Zeilen, so wie Millionen andere auch, bald schon vom
schrecklichen Gemetzel ernüchtert waren, erlaubte diese Generation noch zu
Lebzeiten einer weiteren Regierung, ihre Söhne erneut in einer noch größeren
Armee in einem noch größeren Gemetzel zu opfern. Als diese zweifellos
verbrecherische Regierung sich zu einem Krieg nach dem anderen entschloss, war
man zwar selten begeistert. Aber was sollte man dagegen schon tun? Natürlich
hätte „man“ etwas tun können. Je moderner ein Staat, desto eher ist er durch
Gewaltenteilung, durch komplexe Verwaltung geprägt. Dadurch ist die
Partizipation der Vielen nötig. Das ist im Welteroberungskonzept der Nazis
nicht anders, wie in einem Wohlstandsstaat, der seine Kriege in die
geografische Peripherie auslagert. Die Partizipation erfolgt stets. Kein Satz
war je weltfremder als jener der Friedensbewegung „Stell Dir vor es ist Krieg
und keiner geht hin.“ Eine Institution drängt zur Tat, selbst wenn es ihre
einzelnen Mitglieder nicht tun. Eine Armee zieht es in den Krieg! Vielleicht
läuft sie beim ersten Gefecht gleich wieder fort, aber allein ihr Erscheinen
als Armee legitimiert exzessive Gewaltanwendung der Gegenseite. Die Crux
scheint also in der Frage zu liegen: „Wozu überhaupt eine Armee?“ Oder um es mit
Berthold Brecht zu sagen: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat!“
(Leben des Galilei, 13. Szene). Glückliches Costa Rica, Land
ohne Armee und ohne Krieg.
Zwischenstaatliche Gewalt als konstante Kommunikation
Der Mensch will den Frieden, er fürchtet den Krieg, er
demonstriert gegen den Krieg. Die Politik diskreditiert den Frieden, indem sie
ihn regelmäßig bricht. Zugleich liebt die Masse den Rausch des Sieges, die
Freude eine mächtige Gemeinschaft zu sein. Aktuell zu beobachten im russischen
Fernsehen, wo die allabendlichen Nachrichten den Generalstab zeigen, der die
Luftangriffe in Syrien auf großen Karten erklärt. Die Strategieshows beziehen
das Publikum in die Stärke einer Armee ein, die in einem Stellvertreterkrieg
zur lange vermissten Rolle im internationalen Konzert der Macht zurückfindet.
Sie finden ein Millionenpublikum. Und selbst wenn eine Bevölkerung skeptisch
gegenüber Militäraktionen ist, braucht es oft nur den Sieg, um sie zur
jubelnden Kulisse zu machen, wie beim Sieg der Wehrmacht über Frankreich. Zwei
von vielen möglichen Beispielen: 1940 bis 2016 – unsere Regierungen und unsere
Medien können uns Kriege nicht nur als notweniges Übel verkaufen. Sie können
uns auch immer noch dafür begeistern. Krieg gegen das Böse ist immer gut. Denn
das Böse erzeugt Empörung. Auch wenn es nur eine Meldung in den Medien ist,
erhebt eine Nachricht wie „Assad setzt Giftgas gegen das eigene Volk ein“ den
eigenen Luftkrieg zur gerechten Sache. Wir verursachen schuldige Opfer, um
Unschuldige zu schützen. „Krieg lässt sich als ein Geschehen verstehen, das
Bevölkerungen aufteilt in einerseits diejenigen, um die getrauert werden kann,
und andererseits diejenigen, um die nicht getrauert werden kann.“ (Philosophin
Judith Butler) Politik kommuniziert Gewalt, bevor sie diese ausübt. In Reden,
in Nachrichten, aber auch als Story Telling, z.B. in Spielfilmen. Wir werden
von Propaganda indoktriniert. Andererseits wirken Medien letztlich nur als
Verstärker unserer inneren Einstellungen. In diesem Fall der jahrhundertealten
Idee, „dass Krieg die klarste Form der Selbstbehauptung eines Volkes“
(Militärethiker Carl von Clausewitz) sei. Das kann auch kippen, v.a. wenn man
den „Krieg der Bilder“ verliert, wie Vietnam und der Irak gezeigt haben. Das
soll aber nicht unser Thema sein. Die Frage die sich stellt ist vielmehr: Wenn
Politik dazu neigt, zwischenstaatliche Kommunikation mit Waffen auszutragen,
sollte man ihr dann nicht die Möglichkeit dazu nehmen?
Die Hürden des Friedens
Hierzu die naheliegenden Einwände:
Die Politik hat aber doch sehr viel Positives auf internationaler Ebene
erreicht? Die Haager Landkriegsordnung, die Genfer Konvention, die EU, die UN.
Das ist ebenso richtig, wie es auch eine Tatsache ist, dass all diese
Errungenschaften als Reaktion auf Katastrophen entstanden, die zuvor von der
internationalen Politik angerichtet worden waren.
Bedeutet eine Entmachtung zwischenstaatlicher Politik aber nicht einfach
einen Rückfall in die Zeiten des wilden Stammeswesens? Zeiten der Anarchie, der
Warlords, wie wir sie z.B. in Afghanistan und Somalia sehen? Marodierende
Truppen, die aus den umliegenden Ländern in schwache Regionen , wie z.B. den
Kongo, einfallen? Nachfolgekriege staatlicher Auflösung, wie z.B. im Fall
Jugoslawiens? Diese Herausforderung hängt zusammen mit dem Hauptproblem unseres
Anliegens: Die menschliche Natur sehnt sich nach Auslagerung der Verantwortung,
sie liebt Führerfiguren (charismatische Herrschaft) oder allgemein anerkannte
Regeln (rationale Herrschaft), die implizieren „Überlass das mir! Unser Schicksal
ist bei mir in guten Händen.“ Das trifft auf funktionierende große Staaten
ebenso zu wie auf blutrünstigen Meuten. Wobei rationale oft mit charismatischer
Herrschaft einhergeht, da der Ruf nach „Law & Order“ immer auch nach einer
starken Führung verlangt. In der „Hingabe der Gehorchenden an das rein
persönliche “Charisma” des “Führers”, (….) wurzelt der Gedanke des Berufs
(Politik J.H.) in seiner höchsten Ausprägung.“ (Max Weber)
Als Individuen haben wir gerne das Gefühl, Herr über unser Leben zu sein.
Sind wir das nicht, leben wir in einer Diktatur.
Als Kollektiv haben wir gerne das Gefühl, geführt zu werden. Werden wir das
nicht, leben wir in einer schwachen Gemeinschaft.
Das Paradoxon staatlicher Gewalt
Im Inneren von Gemeinschaften hat Politik Großes geleistet. Jahrhunderte
lang herrschte auf Europas Wegen des Recht des Stärkeren. Niemand schützte die
Schwachen vor Raub, Mord, Vergewaltigung. Europa war Somalia, Europa war
Afghanistan, Deutschland war im Dreißigjährigen Krieg der Kongo. Im Mittelalter
disziplinierte die Kirche als einzig wirklich konstituierte Macht das wuchernde
Gewaltwesen zunächst spärlich. Dann effektiv, indem sie die Gewalt in einem
quasi vorstaatlichen Akt auslagerte. Papst Urban II. rief 1095 auf dem Konzil
von Clermont dazu auf, die Gewalt unter Brüdern einzustellen und diese
stattdessen als christliche Armee in den Orient zu tragen. Die Kreuzzüge zur
Befreiung Jerusalems waren die erste militärische Aktion des Abendlandes unter
einem allen gemeinsamen Heerzeichen: dem Kreuz. Um die historische Entwicklung
fürs Erste abzukürzen (weiterführende Literatur z.B. Ernst H. Kantorowicz „Die
zwei Körper des Königs“): Es entwickelte sich das Paradoxon staatlicher Gewalt.
Das Gewaltmonopol gegenüber den Mitgliedern der Gemeinschaft. Das bedeutete
Frieden und Stabilität.
Der Waffengang gegenüber anderen Gemeinschaften. Das bedeutete Sieg und
Ruhm oder Niederlage und Chaos.
Daraus ergibt sich die Konsequenz: Das Prinzip der Politik im Inneren hat
sich überwiegend bewährt. Hier kann das menschliche Bedürfnis, Verantwortung
abzugeben, den Prozess der Zivilisation schützen.
Geschichte als Zyklus oder als Fortschritt?
Das Prinzip der Politik im Äußeren macht die Geschichte zu einem Zyklus
wiederkehrender Katastrophen. Der Unterschied zwischen Demokratie, Diktatur,
Oligarchie, Totalitarismus, Kommunismus, Laizismus, Gesinnungs- oder
Verantwortungsethik liegt nur im Selbstbild. Je nach Amt für Konfliktforschung
haben die Kriege der USA, als größte Demokratie der Moderne, gegen Diktaturen,
gegen Kommunisten, für die Demokratie und die Freiheit, nach 1945 zwischen 6
Millionen (MIT-Politologe John Tirman) und 10 Millionen Todesopfer gefordert.
Nationen laufen mit oder ohne „Hurra“ immer wieder in den Sumpf der Gewalt.
Dann zieht man sich selbst wieder am Schopfe aus diesem hervor. Auch das ist
Teil des politischen Betriebes „Außenpolitik“. Die einen schlagen das Schiff
Leck und die anderen – manchmal auch die Saboteure selbst – reparieren es
wieder. Man musste diesem Kreislauf längerfristige Konzepte entgegensetzen.
Konferenzen erließen internationale Regeln und gründeten zwischenstaatliche
Gemeinschaften, damit es nie mehr geschehe. Nur die Geschichte zeigt: Es
geschieht eben doch immer wieder. Institutionen wie die EU oder die UN haben
auf Zeit als Friedensbewahrer funktioniert. Ihre eingebaute Verdammnis: Auch
sie sind politische Organisationen, in denen sich in jeder Generationen guter
Führer, auch immer wieder nationale Herrscher finden, die „Krieg als bloße
Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (Carl von Clausewitz) anwenden.
Das ist mitunter pragmatisch, mitunter diabolisch. Aber es liegt im Wesen eines
Berufes, dessen Kernaufgabe es ist, ihm übertragene Gewaltsamkeit über
Beherrschte (Bürger oder Untertanen) auszuüben. „Wer Politik treibt, erstrebt
Macht“ (Max Weber). Nicht umsonst gelten die letzten Gedanken in Webers
„Politik als Beruf“ dem Krieg, für den es oft keinen Schuldigen gebe. Er sei
ein strukturelles Problem der gesellschaftlichen Organisation.
Auch Politik die das „Gute“ will, der es also nicht um Eroberung,
Ausbeutung und Ausrottung geht, arbeitet mit allen ihr übertragenen Mitteln und
Menschen zur Erreichung ihrer Ziele, also auch mit jenen der Gewalt und des
Krieges. Auch Max Weber sah sehr genau, dass „wer mit der Politik, das heißt:
mit Macht und Gewaltsamkeit als Mitteln, sich einläßt, mit diabolischen Mächten
einen Pakt schließt, und daß für sein Handeln es nicht wahr ist: daß aus Gutem
nur Gutes, aus Bösem nur Böses kommen könne, sondern oft das Gegenteil. Wer das
nicht sieht, ist in der Tat politisch ein Kind.“ Es gibt also keine Hoffnung
auf Besserung innerhalb des Systems. Daran glauben nur Kinder. Und die
Erwachsenen? Im dumpfen Fatalismus treiben wir wie Schiffbrüchige auf dem Meer,
darauf hoffend, einer eher glücklichen als einer eher unglücklichen Welle der
Geschichte ausgeliefert zu sein. So überlassen wir dem Bösen das Gesetz des
Handelns. Nur weil wir uns keine Lösung außerhalb des internationalen
politischen Systems vorstellen können? Welcher Gedanke läge näher, als die
Struktur zu überdenken. Wenn der Kuchen faul ist, sollte man einen neuen
Backen. Ein System welches die Volkswirtschaften mit der „Cake theory“ längst
kennen. Steckt man mit den vorhandenen Mitteln fest, bringt man neue Mittel ins
Spiel.
Muss also auch Außenpolitik ein Beruf sein? Gibt es keine anderen
internationalen Ereignisse als das Hin und Her von politischen Brandstiftern
und politischer Feuerwehr? Es wird Zeit aus jener „erschreckend sorglosen
Haltung, die unsere Kriege begleiten“ (John Tirman) auszubrechen.
Internationale Beziehungen sind nicht nur Politik. Sie beinhalten
Wirtschaft, Justiz, Medien und Tourismus. Diese Systeme kommunizieren Gewinn
mit Handel, Recht mit Gesetzen, Inhalte mit Lizenzen oder Welterfahrung mit
Logistik. Sie stehen ebenfalls nicht für globale Gerechtigkeit, aber ihr Medium
ist nicht Macht durch Gewalt. Deshalb sollte hier anstelle politischer
Herrschaft die Kontrolle internationaler Gewalt liegen. Das internationale
Gewaltmonopol. Die Vorstellung einer nicht an nationale Interessen gebundenen
internationalen Polizei ist nicht einmal schemenhaft am Horizont zu sehen.
Alleine als Idee, wäre das die Innenpolitisierung der Außenpolitik. Denn das
Vakuum nach dem Ende internationaler politischer Macht müsste ausgefüllt
werden. Aus diesen Institutionen kann die Kraft der Menschheit kommen, sich
weiter zu entwickeln. Die ersten Schritte des langen Weges der Zivilisation
müssen aber in den Köpfen herausragender Einzelner getan werden. Dazu bedarf es
heute, im Gegensatz zu Webers Zeit, keiner Helden. Die Netzwerkgesellschaft
kann Ideen kreieren. Deshalb steht dieser Text heute im Netz. Wer sich zu klein
fühlt, dem sei zuletzt gesagt: „Es ist ja durchaus richtig, und alle
geschichtliche Erfahrung bestätigt es, daß man das Mögliche nicht erreichte,
wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen worden
wäre.“ (Max Weber).
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen