20. April 2016

Earn Profits globally, leave losses locally - zur Flüchtlingskrise.

Nachdem die Route über den Balkan geschlossen und das Abkommen der EU mit der Türkei in Kraft gesetzt wurde, fallen die Zahlen der Migranten in Mitteleuropa. Die Krise flaut ab. Doch das ist nur eine Atempause, das Flüchtlingsdrama wird weitergehen. Noch sehr lange.

Ulrich Herbert skizziert in einem Artikel die jüngere Geschichte der Einwanderung nach Deutschland und beziffert die Dauer dieser Entwicklung auf 100 Jahre und mehr. Diese Quelle zeigt beispielhaft, welche Koninuität Migration nach Deutschland besitzt und wie komplex die jeweiligen Hintergründe sind. Klar scheint, kein zweifelhafter Pakt oder das Schließen von Grenzen halten Menschenströme dauerhaft auf. Vor allem nicht in einer globalisierten Welt.
Auch wenn der südöstliche Einwanderungsstrom aus Richtung Kleinasien zunächst gestoppt scheint, es existiert eine weitere Flüchtlingsroute von Süden her. Das Mittelmeer bestimmte vor dem Sommer 2015 die Schlagzeilen in Sachen Flüchtlingskrise und wird es bald wieder. Die Saison für dessen Überquerung beginnt jetzt, im Frühling, wenn es wärmer wird (die ersten großen Meldungen über Tote). Im Mittelmeer jedoch droht den Flüchtenden ungleich größere Gefahr. Die Distanz zwischen Afrika und den europäischen Inseln Malta, Lampedusa oder auch Kreta ist wesentlich größer als die neun Kilometer in der Ägäis zwischen der Türkei und Lesbos. Dennoch gleichen sich die Mittel für die Überquerung: seeuntaugliche Schlauchboote. Hier entwickelt sich, wie seit Jahren schon, ein gefährliches Drama auf dem Meer, nicht an Grenzen.
(Nord-) Europa stellt das Ziel für viele Migranten dar, weil es in mehrerer Hinsicht attraktiv ist: Relativ Nah, von mehreren Seiten aus erreichbar und doch erste Welt. Umgekehrt betrachtet, gleicht Europa mittlerweile einem einsamen Felsen in schwerer Brandung. Im Osten, Südosten und Süden lauern Krisen. Das gesamte Vorfeld Europas ist in Aufruhr. Die USA plagen in dieser Hinsicht keine Sorgen. Von Bismarck stammt angeblich der Satz: "Das Schicksal beschützt Kinder, Idioten, Betrunkene ... und die Vereinigten Staaten" – das trifft zweifellos für ihre geographsiche Lage zu. Deswegen sind die USA auch kaum bereit, ihre Mitverantwortung für Fluchtursachen (Lybien, Irak) dahingehend anzuerkennen, dass sie eine größere Zahl von Flüchtlinge aufnehmen. Auch Obama hat dies nicht wirklich im Sinn, trotz dessen er einigen wenigen tausend Syrern Asyl gewährte.
Falls das umstrittene Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU vollendet wird, öffnet es weiter Märkte für Wirtschaft und Konzerne, die Welt wird wieder ein Stück kleiner. Geht es jedoch um sozial disruptive Entwicklungen, die teuer werden und schwierig zu bewältigen, wird die Welt wieder größer: Einschottung ist das Mittel der Wahl. Österreich plant etwa Grenzkontrollen auf dem Brennerpass. Schengen und damit ein großes, offenes Europa scheint vorläufig zu scheitern. Profit möchten viele, Probleme keiner. Doch sie existieren. Und bleiben. 
Wenn wir also schon ökonomisch global denken, warum dann nicht ganzheitlich? 
Globalisiertes Handeln der EU, aber auch den USA und China verursachen Flüchtlingsbewegungen. Wäre China bereit, aufgrund seiner Aktivitäten in Afrika im Gegenzug Flüchtlinge aufzunehmen? Die USA tragen große Mitverantwortung für die Instabiliät des Nahen Ostens, Russland ebenso. Sind sie bereit, den Preis zu zahlen, ergo ein substantielles Flüchtlingskontigent zu stemmen?
Viele kritisieren, die EU sei den Problemen nicht gewachsen, das Gebilde mit dem Wasserkopf in Brüssel unausgegoren. Bezüglich der Flüchtlingskrise ist das kein Wunder. Die Probleme globalisieren sich, auf Europa fokussieren sie sich nur. Sie sind auch Auswirkungen von: Earn Profits globally, leave losses locally.

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