23. Juli 2016

Game of Thrones

Die beliebteste Serie der letzten Jahre, Game of Thrones, biegt langsam auf der Zielgeraden ein, es werden nur noch wenige Folgen erscheinen. Das Epos stellt keinen reinen Fantasy-Eskapismus dar, eher stehen die Menschen, ihre Gesellschaft und ihre Konflikte im Zentrum. Autor George R.R. Martin (ich referenziere im Folgenden auf den Autor des Roman-Epos, weniger auf die TV-Macher) erschuf dutzende plastische Charaktere, starke Dialoge und überraschende Plot-Wendungen, der Ton ist düster, impulsiv, brutal, gerne erotisch und auch nachdenklich. Game of Thrones ist also keine schale Scheibenwelt. Inwiefern können wir von dieser epischen Saga etwas lernen?

1. Martin hat ein gigantomanisches Werk erschaffen, leider. Normalerweise bringen die Bücher mehr Einsichten als die Verfilmungen, doch nicht in diesem Fall: die Geschichten ufern aus, zerfransen, dutzende Subplots tun sich auf, hunderte Charaktere erscheinen, alles hängt mit allem zusammen und  irgendwann geht gefühlt nichts mehr vorwärts. Der Plot der mittlerweile sechs Bücher wirkt völlig verzettelt. Kein Wunder dass George R.R. Martin sich schwer tut, die Saga zuende zu schreiben. Ich befürchte, dass es ihm nicht gelingt, zuviele Probleme beschäftigen mittlerweile die innere Logik. Zu sehen ist es beispielhaft in der TV-Adaption, in der der Zeitablauf nicht mehr stimmt: Manche Protagonisten durchqueren schnell ganze Kontinente, für andere vergeht die Zeit quälend langsam.
Mein Rat: Nicht die Bücher anfassen. 

2. George R.R. Martin hat ein düsteres Werk geschaffen: Die Gesellschaft ist schwach, entweder herrscht Krieg oder er steht vor der Tür. Intrigen sind an der Tagesordnung. Bekanntlich inspirierten die ausufernden englischen Rosenkriege des 15.Jahrhunderts Martins Epos. Dennoch, das ständige Abschlachten tausender, wie dargestellt, wäre für eine Gesellschaft auf Dauer ruinös. Diese Folgen solcher Gewaltexzesse stellt Martin nur unzureichend dar. Wir lernen hier wenig, außer das Krieg schrecklich ist.

3. In der TV-Adaption und in den ersten vier Büchern wird fast nur durch Machtdemonstration und kaum über durch eine pragmatische Exekutive regiert. Diejenigen, die auf rationales Handeln drängen, haben schlechte Karten. Daenerys Targaryens Politik etwa, die Städte im fernen Osten von Sklavenhaltung zu befreien, wirkt hanebüchen. Es mag sich authentisch-mittelalterlich anfühlen, brutal durchzuregieren, aber tatsächlich wirkt es, als habe in der Serie kaum jemand Weitblick. Der Sonnenkönig war mehr Realpolitiker, als die Game of Thrones-Protagonisten.
Weiterhin ist die gezeigte Gesellschaft für solch Häuptlingsgehabe viel zu komplex: Sie gleicht eher der frühen Neuzeit als dem Mittelalter. Beispielsweise gibt es eine tausende Schiffe große Flotte in der Stadt Mereen, (die später abgefackelt wird). Um so etwas zu bauen und zu unterhalten, braucht es einen halben Staat. Doch  unter Daenerys besteht die Exekutive aus zwei, drei Beratern, die Daenerys permanent davon abhalten müssen, irgendjemandes Kopf abzuschlagen, weil er Sklaven hält. Von einer Verwaltung sehen wir gar nichts.

4. Abgründe von Menschen und ihre inneren Widersprüche sind Martins Terrain. Die Zwangslagen  sind faszinierend anzusehen und man fragt sich oft, wie es nur dazu kommen konnte, und was der Ausweg sein mag. Leider zelebriert die Serie ständig den Konflikt, ist einer vorbei, enstehen drei neue. Doch dabei kommt es manchmal zu spannenden Dialogen. Ein Mann etwa verteidigt gegenüber der Königin den Konservatismus: Die Gladiatorenkämpfe, diese Kämpfe auf Leben und Tod, habe es immer gegeben und werde es immer geben. Zwar denke Königin Daenerys, sie seien falsch, die Gladiatoren glauben jedoch, sie seien richtig. Sie sterben gerne kämpfend. Weshalb sollte die Königin Recht haben und die Betroffenen unrecht? Die Königin schweigt perplex. Der beschlagene Tyrion jedoch antwortet dem Mann, nur weil seine Rede eloquent sei, stimme sie damit noch nicht. Nach seiner Erfahrung lägen eloquente Menschen genauso oft richtig wie Schwachsinnige. 

5. Eskapismus liegt mehr denn je im Trend, und das bleibt eine Lesart von Game of Thrones. Man betrachte etwa diese Rezensionen zu jeder Folge  (es gibt sogar zu jeder Episode zwei Artikel. Für die, die Bücher gelesen haben und für die nicht). Unterhaltsam kritisiert und lobt man, hält aber eine strikte Fanperspektive ein. Es existiert wenig Distanz, stattdessen präzise Analysen von Details und Handelssträngen. Auch hier, wie ich schon einmal schrieb, regiert der Nerd.

6. Zum Ende hin wird deutlich, dass die Macher der TV-Serie zunehmend dünnes Eis betreten. Es gibt keine Buchvorlagen mehr, und es macht nicht nur deswegen Sinn, die Serie bald abzuschließen. Doch besteht das Problem, dass Plot und Charaktere so vielfältig sind, dass ein befriedigendes Ende nur schwer gelingen kann. Ich bin jedenfalls gespannt, wie sie die unzähligen geöffneten Fässer wieder schließen wollen.

Game of Thrones ist grandioses Abenteuer und als solches sollte es auch gedeutet werden, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Menschen sind ständigen Konflikten ausgesetzt, mit einem Spielraum irgendwo zwischen Pest und Cholera, was Einsichten birgt, oft aber auch ermüdet, genauso wie die ausufernde Gewalttätigkeit. Wie rationale Politik in dieser Welt funktionieren könnte, wird leider fast gar nicht gezeigt. Über die Zerrissenheit von Menschen lernen wir dagegen viel: Sie handeln uneindeutig, komplex und widersprüchlich.

Update 21.8.16: 
Mir ist während Gesprächen über Game of Thrones ein Szenario eingefallen, wie die losen Enden doch alle zusammengeführt werden könnten und ein großes Thema die Story auf ein anderes Level hieven würde: Es wäre die Erzählung der Auslöschung von Westeros. Die Reiche, so wie wir sie kennen, gehen unter, weil die "White Walkers" bzw. die Untoten aus dem Norden jenseits des Walls den Kontinent erobern. Winter is actually coming.
Plötzlich würde alles Sinn machen: der Bürgerkrieg, die stetige Auslöschung des Geschlechts der Lannisters, die zahllosen Ränkespiele etwa durch Littlefinger, all diese Konflikte wären eingeordnet als Zeichen des Niedergangs einer Gesellschaft, ja sogar eines Zeitalters.  Zwar fiele so das Serienende sehr düster aus, allerdings bräuchten die Macher ja nicht alle Hoffnung fahren zu lassen. Hinweise auf eine Erneuerung kann man durchaus ans Ende hängen (allerdings sollte erst die alte Ordnung sterben). Oh, wäre das ein befriedigendes Ende!
Nächstes Jahr wissen wir mehr.

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