7. September 2016

Mecklenburg-Vorpommern

Von wegen! Fair ist die geplante Umverteilung der Gelder nur für die absolute Spitze. Unten kommt wenig an, an der Basis nur noch ein Siebtel! Dazu berücksichtigt der Verteilungsschlüssel künftig Erbhöfe: Galt man etwas in den letzten Jahren, erhält man Boni. Zerbricht Europa?

Die Rede ist von der Fußball Championsleague. Der Chef von Bayern München Karl-Heinz Rummenigge glaubt tatsächlich, mit der neuen Reform allen einen Gefallen getan zu haben. In einer Zeit, in der sogar konservative Blätter wie die Welt materielle Ungleichverteilung beklagen, will Rummingge im Fußball den Löwenanteil für die Reichen. Fragen Sie mal, wie das die Kleinen finden: Das traditionsreiche Ajax Amsterdam schaffte vor 20 Jahren letztmals den Gewinn der Championsleague, Wien mit seiner riesigen Fußballtradition noch gar nie, von alten belgischen oder osteuropäischen Klubs sowieso niemand. Rummenigge vertritt eine altbacken neokonservative, erzkapitalistische, ja dümmliche Machtdominanzpolitik. Wer hat, bestimmt alles.
Ich rege mich nicht nur auf, weil ich meinen Verein nie mehr in der Spitze der Liga, geschweige denn in Europa sehen werde, Rummenigge und die UEFA stehen sinnbildhaft für Europas Probleme. 
Gestern diskutierten Jens Hirt und ich über Mecklenburg-Vorpommern. Wir kamen da auf radikale Überlegungen: Jens fragte irgendwann, ob die Politik angesichts ihres Versagens nicht abgeschafft gehöre, ich stellte Errungschaften der Moderne infrage. Aber wenn ich von Rummenigge lese, wird alles plötzlich ganz einfach.
Ich schlage folgendes Experiment vor: Der Bund nimmt 2017 fünf Milliarden Euro in die Hand und investiert es folgendermaßen in Mecklenburg-Vorpommern.
1. Das Lohnniveau wird angehoben und angeglichen. Die, die auf den untersten Einkommensstufen stehen, bekommen bis zu 400 Euro mehr im Monat. Der Satz ist degenerativ, d.h. in den oberen Gehaltsrängen ab vielleicht 5000 Euro Netto ist der Zuwachs bestenfalls symbolisch, sagen wir 10 Euro. Im Schnitt bekommen die Menschen in MV jedenfalls 250-300 Euro mehr. Bei schätzungseise 750.000 Beschäftigten kostet das roundabout 2,5 Milliarden Euro (tatsächlich ist es billiger, aber ich lasse die positiven Steuereffekte der Einfachheit halber beiseite).
2. Arbeitslose erhalten ohne wenn und aber ALG I und II. Sie haben sich zu kümmern um Arbeitssuche und Fortbildung, aber der teilweise menschenverachtende Druck fällt weg. Überhaupt: wir stocken die Bezüge um im Schnitt 50 - 100 Euro monatlich auf.
3. Mit dem restlichen Geld werden Arbeitsinitiativen, Unternehmensneugründungen unterstützt, sowie innovative Bildungsangebote, vor allem solche mit Migrations- und Geschichtsthemen.
4. Dann wird neu gewählt. 
Der Sinn hinter alldem: Was, wenn wir einfach mal für ein Jahr so tun, als wäre in Mecklenburg-Vorpommern das eingetreten, was den Menschen einst versprochen wurde? Mit 5 Millarden Euro schaffen wir zwar keine "blühenden Landschaften", aber wir können die Erwerbslage verbessern, angleichen und die schlimmsten Auswüchse der Ungleichheit mildern. Wie stünde es dann um den Wahlerfolg der AfD?
Der Historiker Paul Nolte redet recht herablassend von dem "eingebildeten Kranksein" der Bewohner im Nordosten. Und natürlich kann ich positive Wirtschafts-Zahlen hernehmen und mich dann wundern, warum es in MV so ist, wie es ist, wie der neuerdings berühmte Kapitän Schwandt. Aber selbst wenn Weltvergessenheit und Selbstgerechtgkeit einiger Leute in MV Ursachen sind, dort herrscht auch massive Ungleichheit relativ gesehen. Die Leute mögen Essen und ein Dach über dem Kopf haben, wenn sie denn ganzen Tag vom neuen Auto hören und es sich nicht leisten können (die im Süden der Republik aber schon), dann generiert das Frust. Was soll man in einer Konsumgesellschaft, wenn man nicht richtig konsumieren kann?
Ich rede nicht davon, schwache Regionen dauerhaft mit riesigen Summen zu pampern - Subventionen an sich sind zwiespätlig. Aber wir können doch nicht hergehen und so tun, als läge der Rechtsruck rein an endogenen Ursachen und ein Fünftel der Menschen da oben sind Deppen.
Wir mögen in herausfordenden Zeiten leben und komplexe Entwicklungen können uns ins Grübeln bringen. Aber auf Grundsatzdebatten lasse ich mich erst ein, wenn die Welt gerechter geworden ist und das immer noch nichts nützt.
Den Karl-Heinz Rummenigges dieser Welt gehört das Handwerk gelegt.

1 Kommentar:

  1. Damit liegt Rocketrockers Artikel nahe am neuesten Konzept des Club of Rome, der in den 1970ern dem unbeschränkten Wachstum auf Kosten der globalen Ressourcen den Kampf angesagt hatte. Diesmal fordern sie u.a. ein allgemeines Grundeinkommen, höhere Steuern der Reichen und eine Verringerung der Jahresarbeitszeit, dafür aber eine längere Lebensarbeitszeit. Eine Ergänzung von mir: Das Wesen des Kapitalismus ist Wachstum, denn Gewinne sollen als Investitionen zur Produktivitätssteigerung wieder in die Unternehmen fließen. Dem steht allerdings die Anhäufung von Kapital auf - zumeist schwarzen - Konten entgegen. Das beklagen auch die "Römer". Dafür gibt es eine Lösung, die allerdings nur in einer kleinen Region Bayerns umgesetzt wird. Das "Schrumpfgeld" verliert an Wert, je länger man es hortet. Ergebnis: Spekulationen lohnen sich nicht. Der Zins fällt als Marge des Großkapitals weg. Das Geld fließt in den Wirtschaftskreislauf zurück.
    http://www.clubofrome.org/report/reinventing-prosperity/

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