25. November 2016

Die große Frage

"Wo fing das an, was ist passiert, was hat dich bloß so ruiniert?" - Die Sterne

Wenn die Symbolfigur für alles Schlechte in den USA amerikanischer Präsident wird, wirft das einen Mount Everest an Fragen auf. Der Journalismus in den USA gewinnt daher mächtig an Fahrt: Es erscheinen überragende Texte zur Zustandsbeschreibung der Gesellschaft. Wenigstens das.
Aber angesichts der trüben Aussicht Trump reicht das nicht. Wir brauchen auch nicht diskutieren, ob ein Vergleich Hitler - Trump sinnvoll ist (Er ist es nicht: Hitler war rechtsrevolutionärer Ideologe und wollte Krieg um jeden Preis. Trump ist Demagoge ohne politische Philosophie). Eher stellt sich langsam die große Frage, ob in den USA das Gesellschaftskonzept gescheitert ist.

Wenn der Worst Case eintrifft in einem System, das genau gegen diesen bestens gewappnet schien, dann muss etwas grundsätzlich im Argen sein. Meiner Meinung nach - das habe ich schon beim Bier in der Kneipe erhitzt diskutiert - gibt es vielfältige Symptome für einen moralischen Niedergang der USA, etwa der zunehmende Zynismus im TV. Und die Frage ist nicht, ob die USA momentan schwer an Reputation einbüßen, sondern warum. Es müssen entscheidende Fehler gemacht worden sein. Wann und wie? 
Zerstörte der Neoliberalismus die sozialen Verhältnisse und ermöglichte so den Populisten Trump? Zu einfach und ein Totschlagargument. Der Neoliberalismus hält gerade für alles her (dass wir auch von ihm profitiert haben, geht völlig unter).
Andere Überlegungen:
Liegt vielleicht ein Geburtsfehler bei der Gründung der USA vor? Hat man von Anfang etwas falsch gemacht, was sich erst jetzt niederschlägt? Ich wüsste nicht was. Die frühen Präsidenten und Gründerväter waren Anhänger der Aufklärung. Mir ist keine verfassungsrechtliche Problematik bekannt, die Trump begünstigt hat, im Gegenteil, genau diesen Fall versuchte man zu verhindern. Man fürchtete Populisten.
Ist vielleicht die Rassenproblematik entscheidend und das letztliche Scheitern der "Melting Pot" - Philosophie? Die USA haben zwar einen Bürgerkrieg um die Sklavenbefreiung geführt, aber das Ergebnis hat nicht die Wunden geheilt. Damals siegte der protestantische Norden und gemäß der amerikanischen "Winner takes it all" - Mentalität wurde der Süden abgemeldet, so, dass er sich bis heute nicht davon erholt hat. Natürlich, die Sklaven zu befreien war richtig gewesen, nur gingen auch die positiven Seiten des Südens der amerikanischen Gesellschaft verloren: Kultivierte Südstaatler bildeten lange das Gegengewicht zum eher puritanischen und materialistischen Norden - dessen Gesellschaftskonzept obsiegte. Und gelöst hatte man das Zusammenleben von Schwarzen und Weißen auch nicht, die Unterdrückung blieb, wenn auch in anderer Form. 
Liegen die heutigen Entwicklungen vielleicht auch darin begründet, dass sich die USA zu Beginn des 20.Jahrhunderts hemmungslos dem Konsum und der Raffgier hingaben und damit die größte Finanzkrise des Jahrhunderts auslösten? Die Gier nach Aktien und Reichtum für jedermann ermöglichten erst das Desaster von 1929 und das hatte schreckliche Folgen: Ohne den schwarzen Freitag ist ein Aufstieg Hitlers viel schwerer denkbar. Die Weltwirtschaftskrise lieferte die Munition für Hitlers Propagandageschütze. Obwohl die Lehre daraus offensichtlich ist, nämlich dass in krisenhaften Zeiten Menschen zu autoritären Führerpersönlichkeiten neigen, tappt der Westen gerade wieder in die Falle.
Vielleicht ist der amerikanische Traum vom Ausnahmestaat, in der jeder sein Glück finden kann, auch erst in den letzten 50 Jahren geplatzt. Der Komiker Craig Ferguson erzählte gnadenlos komisch, aber auch ernsthaft, er wisse nun, warum "everything sucks": weil die heutige Gesellschaft beschlossen habe, dass jung und dumm cool sei, hingegen Alter, Respekt und Weisheit uncool, eine Folge von Entwicklungen der 50er und 60er Jahre. In solch einer Kultur scheint alles möglich, Hauptsache es ist schön, kickt oder verkauft sich. Und steht am Ende solch einer Entwicklung, wenn alles zunehmend egal ist, logischerweise nicht einer wie Trump?
Es scheint jedenfalls so, als sei etwas zerbrochen in den USA, und sei es bloß die Zuversicht, das alles gut werden könnte. Das ist ein ganz einschneidender Moment meines Erachtens: Ende letzten Jahres glaubte ich ja bereits, dass vielleicht erst jetzt das 20.Jahrhundert zuende geht. Ende 2016 ist das Gefühl deutlicher denn je.

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