10. November 2016

Metajournalismus - weshalb man sich geirrt hat.


Es war ein kurzer Augenblick von "Clinton springt nur so hoch, wie sie muss", "Trump hätte ein Wunder gebraucht, um gewinnen zu können", "Clinton ...to win the White House" und "Clinton has solid lead...." zu "Der Ernstfall" oder "Schock. Donnerschlag".
Sehen wir einmal großzügig davon ab, was wir für Demokratien haben, wenn die Wahl eines Mannes, der etwa gleichviel Stimmen bekommt, wie die einzige Alternative, die Welt in den Abgrund stürzen kann - Dazu mehr in "Eine neue Ordnung Teil III." - Fragen wir uns stattdessen, wie sich die westlichen Medien so irren konnten?
Über Nacht wurde die auf dem Land lebende abgehängte weiße Unterschicht entdeckt. Sie hat die Wahl entschieden, weil sie ihre Felle - schon demografisch - davon schwimmen sah. Nach einem Afroamerikaner eine Frau? Das war zuviel für die Rednecks, für den verachteten "White Trash". Jetzt wird eine Bevölkerungsschicht analysiert, die man zuvor nicht sah. Einzig der "Tagesspiegel" wagte sich zwei Wochen vor der Wahl an eine Beschreibung dieses "blinden Flecks".
Für die US Medien ist es, nach dem kollektiven "Hurra Krieg!"-Gebrüll vor dem Dritten Golfkrieg, das zweite Versagen in diesem noch sehr jungen Jahrhundert. Auch in Deutschland stellte man einen Mann als Baby, Clown und Trottel dar, der jetzt zum US-Präsidenten gewählt wurde. Haben hier 60 Millionen Idioten einen der ihren gewählt? Oder ist es so, wie Trump immer wieder sagte? "The most dishonest people in the world - the media - don´t show crowds. They never talk about the real spirit." Also alles nur Anti-Trump-Propaganda? Oder liegt der Fehler in den Redaktionen von "Washington Post" bis "Spiegel"? Das ist gar nicht so unwahrscheinlich. Seit die mittelalterliche Kirche Menschen verbrennen ließ, die sagten, die Erde sei keine Scheibe, wissen wir: Menschen wollen Unliebsames nicht wahr haben.
Niemand mag es, wenn sein Weltbild von Tatsachen in Frage gestellt wird. Dafür hat die Wissenschaft den Begriff der "kognitiven Dissonanz". Er stammt vom Psychologen Leon Festinger. Der schleußte sich in den 1950ern  undercover in eine Ufo-Sekte ein, die auf den Weltuntergang durch Außerirdische wartete. Als der nicht kam - es war ja lange vor Trump - beobachtete er die Reaktionen der Sektenmitglieder. Anstatt beschämt und mit den Hüten im Gesicht davon zu schleichen, passten sie die Tatsachen ihrem Weltbild an. Ihr Wissen um die Katastrophe habe eben diese gerade noch verhindert. Die "kognitive Dissonanz" war entdeckt. Jetzt muss es Journalisten und Demoskopen genau so vorkommen, nur eben umgekehrt. Die Außerirdischen sind gelandet. Die Apokalypse kommt. Man hat nicht mit ihnen gerechnet, weshalb irrationale Ursachen gefunden werden müssen. Die im Bibelgürtel sind eben zurückgeblieben. Dazu muss man sich nicht die Mühe machen, die Menschen zu verstehen. Es genügen die eigenen Ressentiments als empirische Grundlage.
Ist es aber nicht das übliche Medien-Bashing, Ressentiments zu unterstellen? Sind nicht wir alle, also auch diese Kritik, von Ressentiments getrieben? Wir alle können die Welt nur aus unserer kulturellen Prägung heraus sehen und beschreiben. Das betrifft gerade auch jene, deren Beruf es eigentlich sein sollte, objektiv zu sein: 1973 stürzte Hayden White die Welt der Wissenschaft in eine tiefe Sinnkrise, indem er nachwies, dass die Analysen der großen Historiker im engen Korsett der eigenen Ideen und Vorstellungen stecken. Alle Fragen, die Forscher nun an das Material ihrer Untersuchungen stellen, entstammen somit der eigenen Ideologie. Die so tendenziös ermittelten Fakten werden dann in eine Erzählung eingebaut, die uns nicht mit kognitiven Dissonanzen belästigt. Unbewusst konstruierten die Wissenschaftler ihre eigene Welt, anstatt die Realität zu beschreiben. Die Historiker betrieben keine Geschichtsforschung sondern Geschichtsphilosophie. Wissenschaft wurde zur "Metawissenschaft". 
Betreiben viele Journalisten also unbewusst einen "Metajournalismus"? Es ist legitim für Journalisten, ihre Meinung zu äußern. Wenn diese klar von der Nachricht getrennt ist. Wenn man die eigene Meinung aber für die Nachricht hält, wird das beinahe unmöglich. Musste Clinton uneinholbar führen, weil Trump für das Böse stand? Die meisten Deutschen wollten das glauben und wurden enttäuscht - oder getäuscht? Paul Farhi von der Washington Post sagte im Spiegel, dass Trump trotz der gelieferten Informationen gewählt wurde. Also wider besseren Wissens? Oder gegen die Ansichten der Washington Post? Gibt es einen moralischen Überlegenheitswahn, dem sich Journalisten hingeben? Betreiben sie Politik, statt Information? Wollen die Kinder der Aufklärung wieder glauben, dass die Erde eine Scheibe ist?
Agenda-Setting, also die Themenvorgabe der Redaktionen für die Öffentlichkeit, war ein Kommunikationsluxus, der zu verschwinden scheint. Die Lösung für den Bestand der Medien als der Institution des gesamtgesellschaftlichen Vertrauens können vielleicht Journalisten sein, die ohne den Anspruch auskommen, ihre Meinung sei das Gute. Für die verdienten Journalisten Deutschlands könnte das schwierig werden. Sie haben ihr journalistisches Handwerk in den 1970ern und 1980ern begonnen. Eine Zeit geprägt von der Bewältigung der Nazizeit, atomarer Aufrüstung und Friedensbewegung, RAF und Rasterfahndung und von der Spiegel-Affäre. Alles angemessen zu jener Zeit, aber Nichts, wobei weiße Benachteiligte eine prägende Rolle im Weltgeschehen gespielt hätten. Sie taugten bestenfalls als zu überwindender Gegenentwurf zu den angestrebten Zukunftsmodellen der jungen intellektuellen Elite. Dass sie jetzt so überraschend und bedrohlich zurückkommen gleicht wohl der Ankunft von Außerirdischen.

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