29. März 2017

Das Ende der amerikanischen Hegemonie? (2/2)

Der erste Teil befindet sich hier.

Die USA von den 1960er Jahren bis heute
 
Als jüngst Chuck Berry starb, trauerte die Musikwelt, vor allem die Liebhaber klassischen Rocknrolls. Berrys Musik stand für eine Ära, die als übersichtlich gilt. Dass die 50er so klischeehaft die gute alte Zeit verkörpern, liegt auch an den 60er Jahren, dem Jahrzehnt tiefgreifenden Wandels.

Eine Protestkultur entstand: Vietnamkrieg-Kritik, schwarze Bürgerrechtsbewegung, Feminismus, Gegenkulturen. Zwar stellten weder der Wertewandel, noch der verlorene Vietnamkrieg, noch der Watergate-Skandal um Präsident Nixon die USA grundsätzlich infrage. Doch erstmalig deuteten sich Differenzen an, ob die amerikanische Prinzipien so noch zeitgemäß waren. Fragen, die sich heute mehr denn je stellen.
In den 1970ern wandelte sich die Ökonomie grundlegend, hin zur Dienstleistungsgesellschaft. Die Postmoderne war angebrochen. In den 80er erfolgte eine neokonservative Wende, gespeist durch eine Rezession. Als die Sowjetunion 1989 bzw. 1991 zerbrach, bejubelten die Konservativen Ronald Reagan als Sieger des Kalten Krieges. Er habe die Sowjetunion zu Beginn der 80er Jahre „totgerüstet“. Dabei unterschlug man die Bedeutung des Wirtschaftswandels, auch den sowjetischen Afghanistankrieg. All dies hatte die UDSSR schlecht verkraftet.
Aber solche Differenzierungen scherten nun wenige. Nach dem Fall der Mauer sollten unter US-Führung die westlichen Ideen endlich in der ganzen Welt Verbreitung finden: Liberalisierter (Frei-)handel, (technischer) Fortschritt, Demokratie. Was sollte daran falsch sein? 
Doch zu Beginn der 1990er Jahre tauchten bereits Probleme auf, die heute noch Spitzenpolitiker umtreiben. Wie mit den neuen außenpolitischen Herausforderungen umgehen? 1991 führten die USA einen fragwürdigen Krieg gegen den Irak an. Den Völkermord in Ruanda 1994 ließ man dagegen geschehen. In den Balkankriegen griff die NATO unter amerikanischer Führung ein, allerdings um den Preis des Völkerrechtsbruchs. Echte Befriedung und Konfliktentschärfung sahen anders aus.
Auch eine innergesellschaftliche Polarisierung deutete sich an: Die "New Economy" schuf in den 90er Jahren zwar einen Wirtschaftsboom, aber zum Ende des Jahrzehnts regte sich massive linke Kritik an der neoliberalen Globalisierung. Gleichzeitig wuchs in konservativen Kreisen Unzufriedenheit über zu progressive Haltungen in Gesellschaft und Elite. Spätestens um 2000 schien eine breite Diskussion vonnöten, wie Reformen aussehen könnten. Doch die Anschläge vom 11.September 2001 verhinderten das. Der Neoliberalismus hatte weiter Bestand.
Unter dem Eindruck der islamistischen Anschläge in New York, Washington und Shanksville schlugen die USA beinahe blindwütig zurück, erst in Afghanistan, dann im Irak. Später folgten verdeckte Operationen und der Drohnenkrieg. Doch trotz der militärischen und zivilen Opfer, trotz der Billionen Dollar-Ausgaben, die Befriedung des nahen und mittleren Ostens, die Ausmerzung islamistischer Militanz und Demokratisierung sind bis heute nicht erreicht. Stattdessen wuchsen und wachsen internationale Probleme und Konflikte. Und neben neuen Krisenherden kommt in Bälde ein Konkurrent auf Augenhöhe dazu: China. 
Die US-Wirtschaft durchlebte zu Beginn des neuen Jahrhunderts gleich zwei große Wirtschaftskrisen: 2000 die Dotcom-Blase, 2008 die ungleich größere, beinahe katastrophal endende globale Rezession. Letztere befeuerte die Polarisierung der Gesellschaft: In den 2010er Jahren stellten die Republikaner im Kongress die Zusammenarbeit mit Präsident Obama weitgehend ein. Auf dem vorläufigen Höhepunkt 2016 wählte eine konservative, anti-elitäre Protestbewegung einen Mann zum Präsidenten, der sich aktuell Mühe gibt, als schlechtester amerikanischer Präsident aller Zeiten in die Geschichte einzugehen. 
2017 ist wenig übrig vom großen amerikanischen Glanz der 1940er und 50er Jahre. Die Lage wirkt verfahren: Einerseits sind die USA unangefochten Marktführer in den revolutionären digitalen Schlüsseltechnologien. Andererseits reicht das Wachstum nicht aus, um den Frieden in der Zivilgesellschaft zu wahren. Arbeitsplatzabbau in der Industrie, sowie die zunnehmend schlechtere Chancengerechtigkeit schüren massiven Unmut. Kommt der Frontier-Gedanke an seine Grenzen? Ist das amerikanische Konzept des Dynamismus angesichts solch hoher Kosten noch gerechtfertigt?
Ein spektakulärer Niedergang der USA ist unwahrscheinlich. Das Land besitzt weiterhin die größte Volkswirtschaft der Welt, eine demokratische Ordnung und die geostrategischen Vorteile. Aber jahrzehntenlang haben sich nun Probleme aufgestaut, die den amerikanischen Exzeptionalismus infrage stellen. Wie können gesellschaftliche Strukturen modernisiert werden, ohne dass die eigene Identität verloren geht? Was ist überhaupt noch die eigene Identität? Kein Konzept ist aktuell, dass dem Primat der Wirtschaft ein gesellschaftliches Ideal an die Seite stellt.
Leider wird in dieser Hinsicht vorerst wenig passieren. Ich schließe mich dem Urteil des konservativen Senator McCain an: Dieser hält unter dem Präsidenten Trump die Demokratie zwar nicht für in Gefahr, doch werde die sowieso schon existierende Polarisierung Amerikas weiter verstärkt. 
Es muss wohl erst schlimmer kommen, bevor es besser wird. Der USA werden sich neu erfinden müssen, wie und ob, bleibt vorerst offen.

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